Wie mittlerweile bekannt ist, werden Kaufentscheidungen nicht bewusst, sondern überwiegend unbewusst sowie auf emotionaler Basis getroffen. Das gleiche gilt auch für das Fällen von Kaufentscheidungen im Internet, welches in der heutigen Zeit als das Medium zur Vorbereitung von Kaufentscheidungen genutzt wird. Doch unterscheiden sich im Internet getroffene Kaufentscheidungen wesentlich von jenen im stationären Handel?

Prinzipiell gilt, dass sich Kaufentscheidungen im On- und Offline-Handel zunächst in zwei „Basisgruppen“ unterteilen lassen. Es wird unterschieden zwischen:

  • Alltäglichen Kaufentscheidungen mit geringer Bedeutung (z.B. der Kauf einer iPhone-App). Diese erfolgen extrem schnell und vor allem auch kurzfristig.
  • Bedeutsame und langfristige Kaufentscheidungen (z.B. Abschließen eines Abonnements oder einer Versicherung)

Diese zwei Kaufentscheidungstypen werden allerdings noch weiter unterteilt. Hierzu gehört neben dem impulsiven und habitualisierten auch noch der limitierte und extensive Typ, wobei das Hauptklassifizierungsmerkmal das Ausmaß der kognitiven Steuerung im Kaufprozess ist (= bewusste Abwägung von Informationen für oder gegen eine Kaufentscheidung).

Die Gruppe der extensiven und limitierten Kaufentscheidungstypen zeichnen sich durch ein starkes Ausmaß an kognitiver Steuerung aus.

Der extensive und limitierte Kaufentscheidungstyp im Internet - ThinkNeuro!Abbildung: Der extensive und limitierte Kaufentscheidungstyp im Internet (Quelle: in Anlehnung an Pispers, Ralf; Dabrowski, Johanna; Neuromarketing im Internet, 2011, S. 42-45)

Durch ein geringes Ausmaß an kognitiver Steuerung zeichnet sich hingegen die Gruppe der habitualisierten und impulsiven Kaufentscheidungstypen aus.

Der habitualisierte und impulsive Kaufentscheidungstyp im Internet - ThinkNeuro!Abbildung: Der habitualisierte und impulsive Kaufentscheidungstyp im Internet (in Anlehnung an Pispers, Ralf; Dabrowski, Johanna; Neuromarketing im Internet, 2011, S. 45-48)

Basierend auf den zuvor erläuterten Kaufentscheidungstypen ist zu erkennen, dass sich vor allem die extensiven und impulsiven Typen durch eine Fokussierung auf eine emotionale Aktivierung positiv beeinflussen lassen (= positive Beeinflussung des Belohnungszentrums). Dies heißt aber nicht, dass beim Fällen von limitierten und habitualisierten Kaufentscheidungen keine positive Beeinflussung möglich ist. Bei ihnen kann dies durch eine bewusste Steuerung der Aufmerksamkeit erzielt werden.

Beides lässt sich im Internet durch (interaktive) multisensorische Video-Interfaces realisieren (siehe hierzu Anwendung von neurowissenschaftlichen Kenntnissen bei Online-Shops).

Doch an dieser Stelle stellt sich noch immer die Frage, ob im Internet getroffene Kaufentscheidungen sich von jenen im stationären Handel nun unterscheiden? Es ist davon auszugehen, dass sich mithilfe des Internets die Kaufentscheidungsprozesse durchaus verändert haben. Der Konsument hat nun viel mehr Auswahl. Er kann innerhalb von weniger Sekunden von einem Online-Shop zum nächsten gelangen, er kann sich mittels Google, Verbraucherportalen, sozialen Netzwerken und weiteren Quellen/Webseiten Informationen über bestimme Produkte einholen, Preise vergleichen sowie auch einfach nur stöbern, ohne aus dem Haus gehen zu müssen. Allein aus diesen Gründen kann meiner Meinung nach davon ausgegangen werden, dass sich die oben genannten Kaufentscheidungstypen durch das Internet verändert haben können.

Betrachten wir uns doch noch einmal kurz die einzelnen Kaufentscheidungstypen im Bezug auf das Internet.

Kaufentscheidungstypen im Internet

Der extensive Typ im Internet:

Er möchte sich gerne einen neuen Grill kaufen. In einem Fachmarkt hat er bereits ein Modell gesehen, welches ihm ganz gut gefallen hat. Allerdings kennt der extensive Typ sich in dieser Thematik nicht allzu gut aus. Daher beschließt er, im Internet noch weitere Informationen über das favorisierte Produkt einzuholen und diese mit anderen Grills zu vergleichen. Nach einer etwas längeren Suche über Google hat der extensive Typ nun so viele Informationen eingeholt, dass er sich aufgrund der Masse noch nicht wirklich entscheiden kann. Daher beschließt er, seine Freunde über  ein soziales Netzwerk nach deren Meinungen zu fragen. Auch hier kommt er aber leider nicht zu dem gewünschten Ergebnis. Die Meinungen der Freunde gehen weit auseinander.

Genau an diesem Punkt befindet sich der Konsument mitten in einer extensiven Kaufentscheidung. Er versucht ökonomisch und rational zu handeln, der kognitiver Aufwand ist hoch, die Produkteigenschaften werden ausgiebig analysiert und verglichen sowie zu einem Gesamturteil zusammengetragen. Bei der finalen Auswahl des Produktes wird das eigene Wissen/die eigenen Erfahrungen und die der Internetuser und Freunde berücksichtigt.

Der limitierte Typ im Internet:

Über einen Arbeitskollegen erfährt dieser Typ, dass bereits früher als erwartet der zweite Teil des Buches „Fluch der Karibik“ verfügbar ist. Er fand den ersten Teil schon sehr interessant, sodass er sich bereits vor Erscheinen des zweiten Teils dazu erschienen hat, diesen bei Verfügbarkeit zu kaufen.  Daher begibt es sich auch kurz nach dem Gespräch mit seinem Arbeitskollegen zu seinem favorisierten Online-Bücher-Shop. Dort sieht er aber, dass sich ein anderer Kunde zusammen mit dem zweiten Teil von Fluch der Karibik auch die Fortsetzung von „Herr der Ringe“ gekauft hat. Den ersten Teil fand der limitierte Typ ebenfalls sehr gut. Daher entschließt er sich, auch dieses Buch noch zu kaufen.

Anhand dieses Beispiels ist zu erkennen, dass der limitierte Typ mit einem geringen kognitiven Aufwand, einem eingeschränkten und verkürzten Entscheidungsprozess und der Nutzung weniger Informationsquellen seine Kaufentscheidung fällt. Zudem greift er beim Fällen der Entscheidung auf sein eigenes Wissen und seine eigenen Erfahrungen zurück.

Der habitualisierte Typ im Internet:

Vor kurzem hat einer seiner Freunde angefangen Golf zu spielen. Es gefällt ihm so gut, dass er sich dazu entschließt, regelmäßig zu spielen. Sie sind bereits ein Profi im Bereich des Golfsports und können ihrem Freund daher im Internet einen sehr guten Golf-Shop empfehlen. Als Anfänger benötigt ihr Freund immer wieder neuer Golfbälle. Daher beschließt er, ihrer Empfehlung nachzugehen und seine Golfbälle regelmäßig in diesem Shop zu bestellen. Um immer schnell zur gewünschten Seite des Online-Shops zu gelangen, speichert sich ihr Freund den Link unter seiner Favoriten ab. Mit einem Klick kann er so seine Golfbälle im Internet kaufen.

Das regelmäßige Kaufen des gleichen Produktes am gleichen Ort zeichnet den habitualisierten Typ aus. Das Kaufen von Golfbällen entwickelt sich im zuvor genannten Beispiel zu einer Gewohnheit und somit zu einer habitualisierten Kaufentscheidung. Der kognitiver Aufwand ist minimal und der komplexe Kaufentscheidungsprozess lediglich einmal durchlaufen mit dem Ziel, genau diesen dann auch beizubehalten.

Der impulsive Typ im Internet:

Auf der Suche nach einer neuen Jeans begibt er sich ins Internet und gelangt über ein Suchergebnis von Google auf eine in Kürze auslaufenden eBay-Auktion. Spontan entschließt er sich dazu, bei der Auktion mitzumachen. Genau im richtigen Moment gibt er hierzu das entscheidende Gebot ab und wird der Besitzer einer neuen Jeans. Er weiß dabei allerdings nicht, ob er die Jeans auch wirklich günstiger als in einem Online-Shop erhalten hat. Er ist aber darüber begeistert, dass er alle anderen Bietern mit ihrem finalen Gebot aus dem Rennen geworfen hat.

Dies ist die typische Verhaltensweise eines impulsiven Typs. Es existiert eine hohe Reaktivität, eine Kaufentscheidung wird erst bei Betrachtung des Produktes getroffen, wobei es hier keine Absicht dazu gab, und der kognitive Aufwand ist gering.

Überraschendes Ergebnis

Wie anhand der vorgestellten Beispiele zu erkennen ist, scheint das Internet, trotz seiner vielfältigen Möglichkeiten zur Beeinflussung der traditionellen Kaufentscheidungstypen, keinerlei Einfluss auf das Fällen von Kaufentscheidungen im Online-Handel zu haben. Die Entscheidungen werden noch immer auf gleiche Art und Weise getroffen, es wird lediglich das Internet als zusätzliches Hilfsmittel hinzugezogen oder als Ersatz des stationären Handels genutzt. Demnach hat es die Aufgabe, auf die unterschiedlichen Kaufentscheidungstypen einzugehen und durch entsprechende Maßnahmen gezielt den extensiven, limitierten, habitualisierten und impulsiven Typ anzusprechen. Dies erfolgt beim extensiven Typ durch das Involvieren des Konsumenten und eine emotionale Ansprache im Rahmen des Kaufentscheidungsprozesses. Beispielsweise mittels (interaktiven) multisensorischen Video-Interfaces. Beim limitierten Typ kommt es hingegen darauf an, gezielte Produktvorschläge zu machen, die in seinen präferierten und bereits bekannten Markenbereich fallen bzw. Ansätze zu machen, bestimmte Produkte in diesen Bereich zu bewegen. Um im Internet auf die Bedürfnisse des habitualisierten Typs optimal einzugehen, ist die Bereitstellung von entsprechenden Funktionen zur Unterstützung seines Kaufverhaltens nötig. Hierzu können beispielsweise Bookmarkdienste gezählt werden.  Abschließend ist noch der impulsive Typ zu erwähnen, welcher durch das gezielte Auslösen von Impulsen sowie Emotionen im Internet unterstützt werden kann.

Quelle: Pispers, Ralf; Dabrowski, Johanna; Neuromarketing im Internet, 2011, S. 41-48



 
 

Über die Autorin

Autorin von ThinkNeuro! ist Olivia Shepherd. Innerhalb ihres Blogs beschäftigt sie sich mit nahezu allen Facetten des Neuromarketings, der Usability sowie der User Experience. Derzeit ist sie als Usability & UX Consultant bei einer Online-Agentur tätig.