Am 4. und 5. September fand in Wiesbaden der 1. Internationale Multisensorik Kongress statt. Auch ThinkNeuro! war vor Ort und freut sich darüber, Euch ein bisschen hierüber erzählen zu können. Angesichts der Tatsache, dass der Kongress 2 Tage andauerte, kann ich natürlich nicht allzu ins Detail gehen. Daher werde ich mich innerhalb dieses Reviews auf die aus meiner Sicht interessantesten Erkenntnisse beschränken.

Einführung in den 1. Internationalen Multisensorik Kongress 2012

Ganz herzlich begrüßte Bert. M. Ohnemüller, Gründer und Mitinhaber der neuromerchandising group GmbH & Co.KG, die zahlreich erschienenen Teilnehmer in den Tagungsräumen des Dorit Hotels in Wiesbaden. Besonders begrüßte er hierbei die extra für diesen Kongress angereisten Referenten aus Amerika, der Schweiz sowie Italien bevor es dann zu den einzelnen Vorträgen überging. Wie der Name des Kongresses erahnen lässt, standen hierbei Themen rund um das Thema Multisensorik sowie auch Neuromarketing im Vordergrund.

Kaufentscheidungen basieren auf drei neuronalen Strukturen

So erklärte uns Prof. Dr. Peter Kenning, der Zeppelin Universität Friedrichshafen, dass für das Treffen von Kaufentscheidungen stets drei neuronale Strukturen wichtig sind. Hierzu zählt

  • der  Nucleus accumbens (das Belohnungszentrum) – dieser generiert den mit einem bestimmten Produkt verbundenen Belohnungswert.
  • die Inselregion – sie verarbeitet einen ganzen wichtigen Faktor beim Treffen von Kaufentscheidungen: Nämlich den Preis. Bei dieser Preisverarbeitung entsteht dann eine Art Preisschmerz.
  • Frontalhirn (ventromediale präfrontale Kortex) – hier wird der aus dem Belohnungszentrum stammende Belohnungswert und der aus der Inselregion erzeugte Preisschmerz verarbeitet, eine Entscheidung getroffen und auch kontrolliert.

Es sei somit falsch zu denken, dass ausschließlich nur das limbische System für das Treffen von Kaufentscheidungen zuständig sei.

Zudem komme hinzu, dass Kaufentscheidungen vor allem dann am leichtesten und auch am schnellsten getroffen werden, wenn die Markenidentität bekannt und sehr stark ist. Damit verbunden ist eine reduzierte Hirnaktivität, welche im Vergleich zu einer hohen Aktivität vom Gehirn bevorzugt wird.

Daraus lasst sich ableiten, dass Produkte bei denen die Marke nicht bekannt ist und auch keine starke Markenidentität vorliegt, vom Gehirn weniger berüchtigt bzw. bevorzugt werden, wenn sie von Produkten umgeben sind, die zum einen bekannt sind und zum anderen eine starke Markenidentität haben.

Nichtsdestotrotz, seien laut Kenning die Emotionen nicht zu vergessen! Sie emotionalisieren unsere Entscheidungsprozesse und werden in nahezu allen Fällen von sehr starken Marken auch vermittelt. Dies führt dazu, dass die Markenattraktivität steigt. Eine Emotionalisierung könne allerdings nur dann statt finden, wenn es einen konkreten Bezugspunkt zu der entsprechenden Emotion gibt. So konnte in einer Untersuchung herausgefunden werden, dass die Emotionalisierung einer Marke nur dann statt gefunden hat, wenn auch ein Markenlogo zu sehen und somit die Markenidentität bekannt war. Meiner Meinung nach eine durchaus sehr interessante und neue Erkenntnis. So wie auch jene von Enrique Strelow, Leiter Shopper Kommunikation der Ferrero Deutschland GmbH, in seinem Vortrag “Von Consumer Insights zum multisensorischen Markenerlebnis”.

Kanten vermeiden, Rundungen bevorzugen

Er vermittelte den Kongress-Teilnehmern, dass runde Einrichtungsgegenstände am POS bevorzugt eingesetzt werden sollten im Vergleich zu spitzen oder kantigen. Grund hierfür sei, dass wir bis zum 3. Lebensjahr lernen, dass Kanten oder spitze Gegenstände meistens mit Schmerz oder einem unangenehmen Gefühl verbunden sind. Beispielsweise wenn ein Kind sich an einer Tischkante den Kopf stößt. Hingegen assoziieren Kleinkinder Rundungen mit angenehmen Erlebnissen. Hierzu zählen z.B. Gesichter. Dieses als Kind gelerntes mentales Konzept, lässt sich auch auf die Raumgestaltung am POS übertragen und ermöglicht es, subliminal ein angenehmeres Raumgefühl zu schaffen.

Strelow betonte zudem, dass es sehr, sehr wichtig sei, Vertrauen und somit das Gefühl von Sicherheit am POS zu vermitteln. Schließlich sei Sicherheit eines der menschlichen Urziele. Dort wo der Mensch sich wohl fühlt, beleibt er nicht nur, sondern er kommt auch immer wieder – und das gerne!

 Die 5 Sekunden-Regel

Neben dem Vermitteln von Sicherheit sollte sich am POS täglich die 5 Sekunden-Regeln vor Augen gehalten, so Carsten Rath, Gründer, CEO und Gesellschafter der LH&E Management AG. Denn: Sobald ein Kunde den POS betritt, hat man insgesamt nur 5 Sekunden Zeit, um bei diesem alle Sinne zu aktivieren und beim Kunden ein positives oder negatives Erlebnis zu schaffen. Zum Schaffen eines positives Erlebnisses sei es wichtig,

  • jeden einzelnen Kunden zu beachten
  • jeden Kunden persönlich zu begrüßen
  • jeden Wunsch des Kunden zu antizipieren
  • jeden Kunden persönlich zu verabschieden und

die Chance zu nutzen, aus jedem Kunden einen Stammkunden zu machen. Es gehe aber am POS nicht nur darum neue Kunden zu gewinnen, sondern auch Kunden zu halten und zu pflegen, erklärte Rath den Kongress-Teilnehmern.

Die 4 Shopper-Typen

Im Gegenzug stellte Michelle Adams, Co-Chair of POPAI‘S research and Advisory Board bei POPAI Global, den Teilnehmern Ergebnisse aus deren eigens durchgeführten Studie zum Thema “Der Konsument von heute” vor. Hierzu gehörte neben der Bestätigung, dass es Unterschiede beim Treffen von Kaufentscheidungen bei Männern und Frauen gibt u.a. die vier “Shopper-Types” die POPAI’S im Laufe seiner Untersuchungen identifizieren konnte.

So gibt es den

  • Einkaufsplaner (engl. the trip planer) – Er plant seine Einkaufe
  • Schnäppchenjäger (engl. the bargain hunter) – Er ist stehts auf der Suche nach den günstigsten Produkten und/oder Sonderangeboten
  • Entdecker (engl. the Explorer) – Er möchte beim Einkauf inspiriert werden, schlendert gerne durch den POS und genießt es neue Produkte zu entdecken
  • Gestressten (engl. the time stressed) – Er fühlt sich beim  Einkaufen gestresst/gehetzt und hat das Gefühl nicht genügend Zeit zum Einkaufen zu haben.

Die kompletten Ergebnisse der Studie sowie auch eine detaillierte Beschreibung der Shopper-Types, sind hier zu finden.

Die Wirkung des Duftes

Beim 1. Internationalen Multisensorik Kongress darf natürlich das Thema Duftmarketing nicht fehlen. Hierzu referierte Dr. Patrick Hehn, Senior Manager beim Institut für Sensorikforschung und der Innovationsberatung GmbH. Deutlich vermittelte er den Kongress-Teilnehmern, welche Wirkung Düfte auf unsere Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und unser Verhalten haben.

So können Düfte u.a.

  • unserer emotionales Zentrum und eine Erinnerung aktivieren, wenn ein Duft eine besondere Bedeutung für uns hat
  • wacher oder auch ruhiger stimmen
  • die Aufmerksamkeit lenken
  • informieren bzw. über eine Duftquelle Auskunft geben
  • das Wohlbefinden steigern

Daraus ergeben sich dann u.a. folgende Ziele für das Duftmarkeing, so Hehn:

  • Verlagerung der Verweildauer
  • Lenkung der Aufmerksamkeit
  • Emotionaliserung der Marken
  • Steigerung des Wohlbefindens
  • Verbesserung der Markenwahrnehmung

Während des Kongresses referierte allerdings nicht nur Dr. Hehn über die Wirkung von Düften, sondern auch Beat Grossenbacher, Gründer und Inhaber der Air Creative AG.

Er fügte u.a. zu diesem Thema hinzu, dass ein Duft stets wahrgenommen und vom Gehirn verarbeitet wird. Auch Düfte, die für uns bewusst (noch) gar nicht riechbar sind. Sie können aber auch unser Temperaturempfinden beeinflussen. Wird beispielsweise in einem Raum der Duft nach Minze versprüht, so ist das Temperaturempfinden deutlich niedriger als die tatsächliche Raumtemperatur. Bei Zimt ist sie hingegen höher.

Die Wirkung des Duftes - ThinkNeuro!Vor allem machte er aber den Kongress-Teilnehmern an einem Live-Beispiel verständlich, dass ein Duft immer kongruent mit seiner Umgebung ist. So wurden die Teilnehmer gebeten, an einer kleinen Rosenholz Duftprobe zu riechen und dabei einmal auf ein rotes und einmal auf ein blaues Viereck zu schauen. Das Ergebnis dieses kleinen Tests war für alle Anwesenden überraschend:  Der Rosenholz-Duft war beim Betrachten des roten Vierecks deutlich intensiver als beim Blauen. Grund: Rosenholz ist ein “roter Duft”.  Demnach wird der Duft bei dieser Farbe intensiver wahrgenommen. Grossenbachers Aussage, dass ein Duft immer kongruent mit seiner Umgebung ist und ein Duft somit je nach Umgebung auch immer anderes riecht, konnte somit von den Kongress-Teilnehmern direkt vor Ort bestätigt werden.

Der Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen

In dem Vortrag “Die Logik der Gefühle” ging es zwar nicht um Düfte, allerdings verdeutlichte Prof. Dr. Britta Bergemann, der Hochschule Heilbronn, dass Emotionen und Gefühle nicht ein und das selbe sind, so wie es oftmals geglaubt wird. Laut Bergemann sind Gefühle länger anhaltende Zustände, die aber auch wieder vergehen wie beispielsweise Fieber. Emotionen sind hingegen verkörperlichte Erfahrungen. Als Beispiel nannte sie hier das Klingeln eines Telefons und eine damit einhergehenden Angstreaktion, welche jedoch in der Regel innerhalb kürzester Zeit wieder vergeht.

Ohne den Menschen auch keine Multisensorik

In nahezu allen Vortragen des 1. Internationalen Multisensorik Kongresses, ging es ausschließlich um die Methoden und Erkenntnisse des Neuro – und multisensorischen Marktings, sowie dem Schaffen von Erlebnissen am POS. Hierzu wurden den Teilnehmern auch eine Vielzahl an Best-Practice Beispielen präsentiert. U.a. von Bohlin Cywinski Jackson, EDEKA, EATALY oder LAND ROVER.

Doch was ist mit dem Menschen?

Ohne den Menschen gibt es auch keinen Kunden! Da kann der Verkaufsraum noch so multisensorisch und erlebnisreich sein, erklärte  Achim Fringes, Gründer und Mitinhaber der neuromerchandising group GmbH & Co. KG. Daher fokussierte es sich in seinem Vortrag voll und ganz auf den Menschen. Fringes: “Man muss den Menschen wertschätzen. Eine Wertschöpfung kann nur in Balance mit einer Wertschätzung erfolgen! Dies sollte sich jeder im Einzelhandel vor Augen halten”. Demnach sei es eben so wichtig als Verkäufer Vertrauen zu vermitteln. Um Vertrauen zu vermitteln, muss man jedoch den Kunden und seine Wünsche verstehen. Nur durch Verstehen entsteht Vertrauen, wobei der Kunde den Verkäufer und das was er dem Kunden verkaufen will, natürlich auch verstehen muss.

Eine Marke richtig positionieren

Abschließend möchte ich nun noch auf den Vortrag von Prof. Dr. Hans-Willi Schroiff, Corporate Vice President Market Research der Henkel KGaA, eingehen. Er betonte, dass es nicht nur wichtig sei, dass der Kunde Vertrauen vermittelt bekommt und das man ihn versteht. Wichtig sei auch die richtige Definition einer Marke und das man sie richtig inszeniert.

Todsünden seien hierbei jedoch, dass zum einen keine klare und eindeutige Belohnung für die Konsumenten geschaffen und definiert werden als auch eine fehlende Positionierung der Marke in der Limbic® Map. Jedes Unternehmen sollte wirklich versuchen seine Marke an eine Belohnung für den Kunden zu verknüpfen. Eine wichtige Voraussetzung ist hierfür die (richtige) Positionierung in der Limbic® Map, an welcher sich in allen Stufen der Marken- , und Produktentwicklung orientiert werden sollte, sowie auch innerhalb des Marketings.

Zum anderen, werden bei der Entwicklung einer Marke die Codes nicht konsequent genug umgesetzt oder die festgelegten Codes grenzen sich nicht eindeutig von den Codes anderer Produkte ab. So solle ein Konsument allein durch die Farbe oder Form eines Produktes eindeutig erkennen können, um welches Produkt es sich genau handelt und auch von welcher Marke es ist.

Resümee:

Insgesamt war der 1. Internationale Multisensorik Kongress ein voller Erfolg. Besonders machte ihn vor allem, dass die Referenten aus den unterschiedlichsten Ländern anreisten, um Ihren Beitrag zum Thema Multisensork und Neuromarketing zu leisten. Dies auch mit vollem Erfolg wie ich finde. Interessant hätte ich es allerdings noch gefunden, wenn nicht nur auf denn Offline, sondern auch auf den Online-Handel eingegangen wäre. Schließlich wird dieser für viele Unternehmen immer  wichtiger. Nichtsdestotrotz, konnte ich auch bei diesem Kongress eine Vielzahl an neuen Erkenntnissen mit nach Hause nehmen und ich möchte mich an dieser Stelle nochmal ganz herzlich bei der conference group bedanken, die mir diesen Besuch ermöglichte.




 
 

Über die Autorin

Autorin von ThinkNeuro! ist Olivia Shepherd. Innerhalb ihres Blogs beschäftigt sie sich mit nahezu allen Facetten des Neuromarketings, der Usability sowie der User Experience. Derzeit ist sie als Usability & UX Consultant bei einer Online-Agentur tätig.